Vom Wiederholungskurs direkt an die Grenze
Ab dem 17. März 2020 war an der Schweizer Grenze alles anders als zuvor. Der Bundesrat hatte verstärkte Kontrollen angeordnet. Um diese über längere Zeit gewährleisten zu können, hat die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) Unterstützung von der Armee erhalten. Major im Generalstab Michael Lampert ist Kommandant des Gebirgsinfanteriebataillon 91, das im April als zweites Miliz-Bataillon an der Grenze eingesetzt worden ist. Er blickt auf den Einsatz zurück.
18.06.2020, David Marquis
Der Himmel ist grau an diesem Dienstagmorgen im April. Kurz nach 7 Uhr stehen zwei Soldaten des Gebirgsinfanteriebataillons 91 auf einer sanften Anhöhe beim solothurnischen Bättwil. An das kleine Strässchen, auf dem sie stehen, stossen von beiden Seiten Äcker und Wiesen an. Etliche Feldwege führen in Richtung Norden. Was man nicht sieht: Der Weg liegt gerade noch in der Schweiz, jenseits davon ist das Elsass. Während die EZV den Verkehr über wenige Grenzübergänge kanalisiert hat, an denen sie die Reisenden systematisch kontrolliert, sind die Feldwege des Leimentals eine potenzielle Umgehungsroute. Dies wissen die Gebirgsinfanteristen indes zu verhindern. An diesem Morgen mussten sie schon kurz nach der Dämmerung den ersten Fahrradfahrer aus Frankreich anhalten und ihm erklären, auf welcher Route er legal an seinen Arbeitsplatz in der Schweiz gelangen kann. Sind Personen nicht kooperativ, so können die Soldaten über Funk Verstärkung durch eine Equipe der EZV anfordern, die innert weniger Minuten vor Ort sein kann.
Grenze führt vielerorts über Äcker und Wiesen
Zwar wird die Schweizergrenze vielerorts von natürlichen Hindernissen wie dem Alpenkamm oder dem Rhein markiert. In der Region Schaffhausen sowie zwischen Basel und Genf sieht es jedoch mancherorts aus wie im solothurnischen Leimental: Äcker, Wiesen und eine Grenze, die nur dem aufmerksamen Auge, das die Grenzsteine erspäht, überhaupt auffällt. Angesichts der schieren Länge dieser «grünen Grenze» war die EZV auf die Unterstützung der Armee angewiesen, um die vom Bundesrat angeordneten Massnahmen über mehrere Monate gewährleisten zu können. Nebst 50 Profis der Militärpolizei war im Rotationsprinzip auch immer ein Miliz-Bataillon im Einsatz.
Innert weniger Tage für den Einsatz ausgebildet
«Wir befanden uns in der zweiten Woche unseres Wiederholungskurses in Walenstadt, als wir vom bevorstehenden Einsatz an der Grenze erfahren haben», erklärt Bataillonskommandant Michael Lampert. Als Kommandant einer Bereitschaftsformation sei er aber nicht ganz unvorbereitet gewesen: «Bereits vor dem Wiederholungskurs hatte ich die Truppe mit einem Brief darauf hingewiesen, dass ein Echteinsatz aufgrund der Corona-Lage möglich ist.» Als er am 1. April, zu Beginn der dritten Woche des Wiederholungskurses, den definitiven Auftrag erhielt, musste es schnell gehen: Die Ausbildung der Armeeangehörigen stand an. Der Bataillonskommandant erklärt: «Wir sind im Schneeballsystem vorgegangen.» So hat die EZV Instruktoren des Ausbildungszentrums in Walenstadt und der militärischen Lehrverbände ausgebildet. Sie haben ihr Wissen an die Milizkader des Bataillons weitergegeben. In einem letzten Schritt haben diese dann die Mannschaftsgrade auf den Einsatz vorbereitet.
Polyvalent einsetzbare Einheit
Major im Generalstab Lampert kam zugute, dass er sich schon früh auf einen möglichen Einsatz zugunsten der EZV eingestellt hatte: «Wir haben die Ausbildung zu Beginn unserer Dienstleistung in gewissen Bereichen darauf ausgerichtet und vermehrt Schutzaufgaben und die Nachrichtenbeschaffung trainiert.» Weiter habe geholfen, dass ein Infanteriebataillon ohnehin eine polyvalent einsetzbare Einheit sei: «Diese Vielseitigkeit in Kombination mit der professionellen Ausbildung durch die EZV hat dazu geführt, dass wir in kurzer Zeit einen Ausbildungsstand erreicht haben, der den Einsatz möglich gemacht hat.»
Kommunikation mit der Bevölkerung
Im Einsatz haben die Gebirgsinfanteristen dann geschlossene Grenzübergänge und die grüne Grenze statisch gesichert. Dabei haben sie Personen, welche trotz der bundesrätlichen Massnahmen zur Einreise berechtigt waren – namentlich waren dies in dieser frühen Phase Berufspendler – über die Massnahmen informiert und zu den geöffneten Grenzübergängen umgeleitet. Trotz der Polyvalenz des Bataillons musste Lampert seine Leute in einem Punkt auf eine neue Situation einstellen: «Wir trainieren normalerweise eher, wie man zur Deeskalation einer Situation beiträgt. Bei unserem Einsatz an der Grenze ging es darum, sich so zu verhalten, dass es gar nicht erst zu einer Eskalation kommt.» Eine entscheidende Rolle habe dabei die Kommunikation mit der Bevölkerung gespielt.
Zweisprachiger Einsatzraum
Der grosse Einsatzraum hat nicht nur zu vielen Schnittstellen mit verschiedensten Behörden von Bund und Kantonen geführt, um die sich Michael Lampert kümmern musste. Das Gebirgsinfanteriebataillon 91, das seine Wurzeln im Kanton Graubünden hat, musste sich plötzlich auch mit der Sprache Molières auseinandersetzen. «Sowohl bei uns als auch bei der EZV waren immer Leute zugegen, die beide Sprachen sprechen», so der Kommandant. An den einzelnen Standorten habe man darauf geachtet, dass immer mindestens eine Person anwesend gewesen sei, die Französisch sprach, und: «Die Soldaten haben sich auch gegenseitig sprachlich ausgebildet. Zudem haben wir die gängigen Sätze auf Taschenkarten niedergeschrieben. So hat die Verständigung recht gut funktioniert.»
Sechs statt drei Wochen im Dienst
Die Dienstleistung des Bataillons hat letztlich statt der geplanten drei ganze sechs Wochen gedauert. Sechs Wochen, in denen es keinen Ausgang und keinen Urlaub gab. Wie kann man Miliz-Soldaten unter solchen Umständen motivieren? «Meine Leute haben rasch verstanden, dass die Armee – und gerade wir als Bereitschaftsformation – da eingesetzt wird, wenn es sie braucht. Sie wollten helfen», so Major im Generalstab Lampert. Er sei beeindruckt gewesen, mit welcher Professionalität die Armeeangehörigen ihre Aufgabe erfüllt hätten: «Mich macht es stolz, dass ich mich auch dann auf meine Leute verlassen kann, wenn die Umstände nicht einfach sind.»