«Ein Maschinengewehr wurde am Postenfenster aufgestellt»
Mit der Kriegsmobilmachung Ende August 1939 begann auch für die Schweizer Grenzwache eine ungewisse Zeit. Der Anhang des Postenordners des Grenzwachtpostens Fahy, «Die Ereignisse während des Krieges 1939/1945 bis zum 31.12.1946 im Sektor des Postens Fahy», berichtet über diesen Ausnahmezustand, wie ihn die Grenzwächter erlebten.
07.04.2021, von Roman Dörr, Zollexperte, Zollinspektorat Zoll Basel Süd
Mit dem «Anschluss» Österreichs durch das Dritte Reich 1938 rechnete die Schweiz mit einem nahen Krieg. In der Folge traf auch das Grenzwachtkorps erste Vorbereitungen. Es rüstete alle Posten mit leichten Maschinengewehren, Munition und Stacheldraht aus. Den Beamten wurde Stahlhelm, Gasmaske, Norwegerrucksack und Zelteinheit abgegeben. Freiwilligenkompanien, die aus Soldaten und Grenzwächtern bestanden, übten den Ernstfall der Grenzverteidigung.
Kriegsbeginn
«Am 29. August 1939, um 10 Uhr, wurden die roten Kriegsmobilmachungsplakate für die Grenzschutztruppen in Fahy aufgehängt. Um 16 Uhr kamen 18 Mann der Freiwilligen Grenzschutzkompanie 3 an der Grenze an […] und machten sich an den Bau einer Sperre auf der Kantonsstrasse Fahy – Abbévillers», erzählt der Postenordner. Nach der Alarmierung durch den Abschnittsoffizier bauten die Grenzwächter den Posten in eine Abwehrstellung um: «Ein Maschinengewehr wurde am Postenfenster aufgestellt, ein anderes auf der Treppe zum Waschraum des Gebäudes, das als Zollbüro diente.» Von da an führten Grenzwächter und Soldaten gemischte Patrouillen durch.
Die Wehrmacht an der Grenze
Der erste Kriegswinter verlief ruhig, doch bald überschlugen sich die Ereignisse: Nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich flüchteten ab dem 16. Mai 1940 viele Menschen über die Grenze. Während vier Tagen kamen 10'000 Zivilisten mit ihrer Habe, darunter Bauern mit 400 Stück Vieh, sowie 2'000 Soldaten nach Fahy.
Am 24. Juni 1940 fuhr eine motorisierte Abteilung der Wehrmacht an der Grenze auf. Umgehend stellte sich ein Schweizer Soldat mit Landesfahne vor den Posten, um die Grenze zu markieren. Daraufhin sperrten die Besatzer die französische Strasse nach Abbévillers mit einem Lastwagen, dessen Maschinengewehre nach Fahy zeigten.
Agenten und Schmuggler
Der deutsche Grenzdienst in Abbévillers - acht deutsche Zöllner und zwölf Wehrmacht-Soldaten - galt als besonders unerbittlich. Daher mieden die Agenten des Schweizerischen Nachrichtendienstes den Grenzübertritt im Abschnitt Fahy. Das Verhältnis der Grenzwächter zu diesen Leuten war kühl, denn viele von ihnen schmuggelten – angeblich als Alibi, um bei einer Verhaftung mit den Besatzern «verhandeln» zu können.
Weil in Frankreich ab 1941 Tabak nahezu fehlte, häuften sich Aufgriffe und Verzeigungen wegen Schmuggels. Hohe Gewinne verleiteten auch Einwohner der Ajoie zum Schleichhandel. Lebensmittelhändler und Bauern, die an der Grenze wohnten, unterstützten diesen Verkehr. Sie verkauften Ware zu erhöhten Preisen oder benutzten die Schmuggler zum Transport ihrer Korrespondenz.
Ein Fall gab damals zu reden: «Fünf junge Männer aus dem Hérimoncourt-Tal [Frankreich], welche wegen Zollvergehen verurteilt worden waren, sassen im Gefängnis von Prunrut ihre Strafe ab. Nachdem sie eines Abends einen Eisenstab des Zellenfensters durchgesägt hatten, nutzten sie das Fest, das auf der Place des Tilleuls stattfand, und flohen». Das Untertauchen in der Volksmenge und einsetzender Regen erleichterten die Flucht. Vor ihrer Rückkehr nach Frankreich versorgte sich das Quintett noch mit Tabak. Dann wurde die Grenzwache alarmiert, welche Strassensperren errichtete. «Gegen 1 Uhr wurden die Flüchtigen gestellt. Vier von ihnen konnten entkommen, in dem sie ihre Ladung wegwarfen. Um das Schmuggelgut auf den Posten zu transportieren, war es nötig, den Wagen des Wegmachers zu behändigen, der sich vor Ort befand. Die [Schmuggel-] Passagen über die Grenze waren zahlreich. Denn es verging keine Nacht, ohne dass wir durch Schüsse und Maschinengewehrsalven alarmiert wurden.»
Am 14. April 1943 um 23.30 Uhr kam es zu einer tragischen Verwechslung: Bei der Verfolgung eines Schmugglers gab ein Grenzwächter zwei Schüsse ab. Ein Schweizer Soldat, der in der Nähe Dienst tat, eilte zu Hilfe. Weil er den Beamten für den Schmuggler hielt, schoss er und tötete ihn.
Die Alliierten kommen
Der Aufruf von General de Gaulle an die Résistance vom 17. August 1944 mobilisierte den französischen Widerstand gegen die Besatzer. Am 6. September 1944 erreichte die 1. Französischen Armee die Hügel des Lomont. Die schweren Kämpfe dauerten bis in den November 1944 an und zwangen viele Menschen zur Flucht. Unter anderem wurden 8'000 Kinder aus dem Vallée d’Hérimoncourt vom Roten Kreuz nach Fahy geführt. 5'000 Männer flüchteten vor den Razzien der Gestapo in die Schweiz. Bei der Rückeroberung der französischen Grenzorte durch die Alliierten wurde auf Flüchtende geschossen, die ins Spital von Pruntrut gebracht wurden. Schliesslich baten aufgeriebene Detachemente der Wehrmacht am Posten Fahy um Internierung.
Dann, am 18. November 1944 erreichten französische Soldaten mit zwei Jeeps die Grenze. Zolleinnehmer Broquet und Visiteur [Revisor] Berberat gingen ihnen entgegen und begrüssten sie.
Damit war der Krieg an der Juragrenze zu Ende. Es sollte aber noch Monate dauern, bis der «courant normal» zurückkehrte.