Tibetantilopen im Bergell
Zu den vielen Gesetzen und Erlassen, welche die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) an der Grenze umsetzt, gehören auch die Artenschutz-Regelungen. Dazu setzt die EZV auch eigens ausgebildete Diensthunde ein. «Forum Z.» hat im Kanton Graubünden ein Training dieser spezialisierten Spürnasen begleitet.
06.02.2020, David Marquis
Zuunterst im Bergell, da wo das Tal eng wird, liegt das Dörfchen Castasegna, das rund 200 Einwohner zählt. Wer in den malerischen Gassen des Grenzorts steht, denkt nicht zuerst an die Reichen und Schönen dieser Welt. Ganz anders die Mitarbeitenden der EZV: Am Grenzübergang an der Umfahrungsstrasse kontrollieren sie unter anderem den Privatverkehr zwischen dem Flughafen Mailand und St. Moritz. An diesem Mittwochmorgen im Januar führen sie eine Schwerpunktaktion durch. Sie legen ein spezielles Augenmerk auf Artikel, die gemäss den internationalen Artenschutz-Bestimmungen nicht erlaubt sind. Hundeführer Jean-Luc Morel nimmt einen dunklen Van unter die Lupe, der mit fünf Personen besetzt ist. Er weist die Autoinsassen an, ihre Gepäckstücke hinter dem Fahrzeug aufzureihen. Dann beginnt die Kontrolle. Diensthund Winner beschnuppert das Auto zuerst von aussen. Dann öffnet Morel Kofferraum und Türen und führt seinen Hund durch das ganze Fahrzeug. Zuletzt führt Morel Winner zu den Koffern. In hohem Tempo arbeitet sich der Hund von Gepäckstück zu Gepäckstück. Dieses Mal ist alles in Ordnung, die Reisegruppe führt keine illegalen Gegenstände mit, und auch die Ausweiskontrolle, die ein Kollege von Morel parallel zur Fahrzeugkontrolle vorgenommen hat, hat keine Unregelmässigkeiten ergeben. So kann der dunkle Van seine Reise schon nach wenigen Minuten fortsetzen.
Schal im Auto deponiert
Das nächste Fahrzeug, ein Kleinwagen aus Italien, wird von Marc Michel, dem stellvertretenden Chef Diensthundewesen der Zollverwaltung, angehalten. Michel spricht kurz mit dem Lenker und deponiert dann einen Schal auf dem Rücksitz. Schon beim Beschnuppern des Fahrzeugs von aussen reagiert der Hund anders als bei der vorhergehenden Kontrolle und sobald die Türen geöffnet werden, steuert er zielgerichtet auf den Schal zu. Der Hund hat seinen Auftrag erfüllt und den Schal aus der Wolle der geschützten Tibetantilope erkannt. Zur Belohnung erhält er sein Spielzeug und darf eine Weile damit herumtollen. «Ein Teil unserer Hundetrainings sind praxisorientiert und finden im Rahmen von Schwerpunktaktionen statt», erklärt Marc Michel. Ab und zu verstecke man im Rahmen dieser Aktionen einen verbotenen Gegenstand in einem Fahrzeug – dies immer in Absprache mit dem Fahrzeuglenker: «So geben wir dem Hund die notwendige Erfahrung und das Erfolgserlebnis.»
Mit dem Hund geht’s schneller
Diese Hundetrainings finden sechsmal jährlich statt und werden von den bereits fertig ausgebildeten Hunden absolviert. Insgesamt verfügt die EZV über fünf Hunde, welche im Bereich Artenschutz geschult sind und rund 70 Spezies erkennen können. «Diese Ausbildung ist eine sogenannte Nachkonditionierung, die rund zwei Wochen in Anspruch nimmt. Infrage dafür kommen Hunde, welche die vierwöchige Ausbildung zum Betäubungsmittelspürhund bereits hinter sich haben», so Michel. Den Vorteil des Einsatzes von Hunden sieht er vor allem im Zeitgewinn: «Wenn wir den Verdacht auf einen Verstoss gegen Artenschutzbestimmungen haben, kann ein Hund ein Gepäckstück innert weniger als einer halben Minute untersuchen. Müssen wir einen Koffer öffnen und durchsuchen, so dauert das fünf bis zehn Minuten.»
Bis fünf Antilopen für einen Schal
Dass für das Training ein sogenannter Shahtoosh-Schal aus der Wolle der Tibetantilope verwendet wird, ist kein Zufall. Martin Sprecher, Chef des Postens Graubünden der EZV, erklärt: «Nebst Kaviar ist Shahtoosh das, was wir am häufigsten finden. Andere Produkte im Bereich des Artenschutzes spielen eine untergeordnete Rolle.» Erstmals sei die EZV im Kanton Graubünden im Jahr 2005 mit einem grösseren Shahtoosh-Fall konfrontiert gewesen. Seither bekämpfe man dieses Phänomen in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zielgerichtet. «Das ist nicht immer einfach», so Sprecher, denn: «Einerseits sind die Schals bis zu 40'000 Franken wert, andererseits haben die Besitzer oft eine hohe emotionale Bindung zu diesen Kleidungsstücken.» Sprachliche und kulturelle Barrieren seien weitere Schwierigkeiten. Es fehle auch oft das Unrechtsbewusstsein, obwohl für einen einzelnen Schal bis zu fünf Tiere sterben müssen, da die Tibetantilopen nicht geschoren werden können.
Enge Zusammenarbeit mit BLV
Die intensive Zusammenarbeit mit dem BLV zeigt sich auch darin, dass für die Schwerpunktaktion im Bergell und im Engadin zwei Spezialistinnen des BLV eigens aus Bern angereist sind. «Wir führen diese Aktionen seit Jahren gemeinsam durch und nutzen sie, um die Mitarbeitenden der EZV weiter für den Artenschutz zu sensibilisieren», sagt Patricia von Deschwanden, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Kontrollen beim BLV. Seit drei Jahren seien die Schwerpunktaktionen nun an die Hundetrainings gekoppelt. Auch von Deschwanden sieht den Mehrwert der Hunde in deren hohem Arbeitstempo: «Mit ihrer Hilfe können wir an den Flughäfen sogar das Gepäck der Insassen eines grossen Passagierflugzeugs prüfen.»
In Castasegna herrscht zwar weniger Verkehr als am Flughafen Genf, wo Hundeführer Jean-Luc Morel gewöhnlich arbeitet, doch die Arbeit geht ihm an diesem Morgen nicht aus. Er kontrolliert Fahrzeug um Fahrzeug, lässt seinen Hund an Koffern und Taschen schnuppern. Doch für einmal ist alles in Ordnung, die Reisenden haben die Artenschutzbestimmungen eingehalten.