Im Jahr 1985 hat die Schweiz als erstes Land die Autobahnvignette eingeführt. Seit dem 1. August 2023 steht die E-Vignette als Alternative zur herkömmlichen Klebevignette zur Verfügung. Was Vater Roland vor bald 40 Jahren kreiert hat, wird heute von seinem Sohn Thomas weiterentwickelt. Ein Besuch im Atelier des Graphikers Thomas Hirter.
02.10.2023, Alain Dulio & Eva Maria Künzi
Im ehemaligen Verwaltungsgebäude des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) am Monbijou in Bern hat Thomas Hirter sein Atelier eingerichtet, das er sich mit zwei weiteren Graphikern teilt. Es ist zwar nicht das gleiche Atelier, von dem aus sein seit einigen Jahren pensionierter Vater Roland arbeitete – aber weit ist es nicht. Beide sind Graphiker. Beide verbindet eine tiefe Faszination für Typographie und Logodesign. Das spürt man bereits in den ersten Sätzen unseres Gesprächs.
Kontinuität und Stabilität. Diese Attribute zeichnen auch die Vignette aus – in Funktion wie Design. So scheint es nur folgerichtig, dass Sohn Thomas die neue Generation der Vignette, die E-Vignette, gestaltet hat und damit einen Teil der Arbeit seines Vaters fortführt. Die Vignette erfüllt immer noch den gleichen Zweck wie bei der Einführung im Jahr 1985: Sie berechtigt zur Benutzung der Schweizer Nationalstrassen für das jeweilige Kalenderjahr. Auch beim Preis hat sich wenig verändert. Er wurde 1995 von 30 auf 40 CHF erhöht und ist seither stabil. Eine Erhöhung der Nationalstrassenabgabe auf 100 CHF wurde 2013 an der Urne verworfen.
Ab dem 1. Dezember 2023 steht die neue Vignette zum Verkauf. Zur Feier des ersten vollständigen Vignettenjahres mit der E-Vignette wurde sie in den Farben der Schweizer Autobahnsignalisation gestaltet. Im Gegensatz zur Klebevignette ist die E-Vignette nicht an das Fahrzeug gebunden, sondern mit dem Kontrollschild verknüpft. Das bringt für Nutzende diverse Vorteile: So benötigt man beispielsweise beim Kauf eines neuen Fahrzeugs keine neue E-Vignette, sofern Halter und Kontrollschild gleichbleiben.
Die E-Vignette kann über den Webshop des BAZG unter www.e-vignette.ch bezogen werden und die Klebevignette an den üblichen Verkaufsstellen.
1984 fragte das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) 20 Graphiker an, Entwürfe für eine Autobahnvignette einzureichen. Dabei durften die Graphiker jeweils drei Vorschläge einreichen. 51 Designs gingen ein. Als Kriterien zur Auswahl dienten neben der graphischen Gestaltung auch die Erkennbarkeit und die Wiederverwendbarkeit des gleichen Sujets bei wechselnder Grundfarbe. Natürlich spielte auch der Herstellungspreis der Klebevignetten eine Rolle. Roland belegte beim Wettbewerb gleich den ersten und den zweiten Platz. «Ich habe mir einfach überlegt, was drauf muss: Die Autobahn und der Jahrgang. Mehr braucht es eigentlich nicht. Das Einfachste ist immer das Beste, sagt man ja gerne», erläutert er seine Gedanken zu seinen Entwürfen. «Ich habe von Hand eine neue Schrift für die Jahreszahl entworfen. Ich arbeite gerne mit knalligen Farben und habe für die Hintergrundfarbe Dunkelblau verwendet und als Kontrast Gelb für die Jahreszahl. Die Vignette sollte ja für Kontrollen auch aus der Distanz leicht erkennbar sein.»
Seither hat sich das Design kaum verändert. Einzig wird es seit 2006 durch ein Hintergrundmuster komplementiert, um Fälschungen zu erschweren. Worin zeichnet sich der Erfolg des Vignettendesigns aus? «Ich denke, das liegt an dessen Einfachheit. Dadurch ist es leicht wiederzuerkennen und es kann jedes Jahr mit einfach zu unterscheidenden Farben wiederverwendet werden. Ich hätte aber nicht gedacht, dass das Design so lange im Umlauf sein wird», erklärt Roland. Thomas ergänzt: «Durch die Einfachheit ist das Design zeitlos.»
So zeitlos, dass die Gestaltung auch für die E-Vignette übernommen werden konnte. «Ich wollte das Design so wenig wie möglich verändern. So habe ich z.B. die Schriftart, die mein Vater Ende der neunziger Jahre digitalisiert hat, wiederverwertet. Es sollte ja auch nicht zu viel verändert werden, denn es handelt sich um gleichwertige Produkte», führt Thomas aus. Dennoch: «Das digitale Element der E-Vignette sollte auch mithineinfliessen. Deswegen habe ich Pixel eingefügt.» Die Platzierung der Verpixelung ist dabei auch nicht zufällig und entbehrt nicht einer gewissen Symbolik: «Die Autos fahren auf der rechten Spur. Die Pixel deuten auch darauf hin, dass sich die Autobahn mit der E-Vignette für sie erschliessen lässt. Quasi als Schlüssel zur Autobahn», bekräftigt Thomas.
Ob sie am 1. Dezember die herkömmliche Klebevignette oder die E-Vignette kaufen werden? «Also ich keine davon! Ich bin überzeugter Velofahrer», lacht Thomas. «Wenn ich in seltenen Fällen ein Auto benötige, dann nutze ich Carsharing-Angebote oder ich leihe dasjenige von meinem Vater aus.» Die Wahrscheinlichkeit, dass an dessen Frontscheibe eine herkömmliche Klebevignette in Grün leuchten wird, dürfte ziemlich gross sein.